Jährlich liefert der Bitkom in seinem Digital Office Index eine Bestandsaufnahme des aktuellen Digitalisierungsgrades in Deutschland ab. Auch in der jüngsten Ausgabe hat der Digitalverband mehr als 1.100 Unternehmen aus allen Branchen repräsentativ befragen lassen und es gibt wieder einige interessante Zahlen. Manche Aussagen machen allerdings stutzig.
„Digitale Lösungen können Verwaltungskosten senken“, heißt es im Digital Office Index (DOI) 2022. Dem würde jeder Mensch zunächst zustimmen. Im Folgenden möchte der Verband wissen, wie die Unternehmen die Auswirkungen der Einführung digitaler Lösungen auf ihre Geschäfts- und Verwaltungsprozessen beurteilen. Demnach haben die Kosten 2022 nur bei fünf Prozent der Befragten deutlich abgenommen, exakt genauso viel wie bei der vorherigen Erhebung im Jahr 2020. Nicht viel anders liegen die Zahlen derer, bei denen die Kosten „eher“ abgenommen haben oder unverändert geblieben sind: nur marginale Unterschiede. Und dies nach zwei Jahren Corona-Pandemie mit einem nachweislich massiven Digitalisierungsschub über fast alle Branchen hinweg? Man mag es kaum glauben.
Merkwürdige Diskrepanz
Der Bitkom fragte ferner, welche Lösungen zur Prozessautomatisierung Unternehmen einsetzen bzw. dies planen. Mit der automatischen Erkennung eingehender Dokumente beschäftigen sich demnach derzeit 21 Prozent der Unternehmen (2020: 22 Prozent), 22 Prozent haben es vor (2020: 26 Prozent). Das ist schon einmal nicht schlecht, steht aber in einem bemerkenswerten Zusammenhang zur nächsten Aussage, die sich mit der Digitalisierung des Papiereingangs beschäftigt. Hier sind es über die Hälfte der Unternehmen (55 Prozent), die eingehende Post bereits scannen, 17 Prozent haben dies vor (2020 wurden diese Werte nicht erhoben). 41 Prozent legen die auf diese Art digitalisierten Schriftstücke bereits in einem elektronischen Dokumenten-Management-System (DMS) ab. Dies sind geringfügig mehr als noch bei der Umfrage vor zwei Jahren.
Merkwürdig ist der Zusammenhang deshalb, weil sich hier die Frage anschließt, warum die Unternehmen mit den Dokumenten nicht mehr anfangen als ein bloßes digitales Faksimile des Papieroriginals zu erzeugen. Natürlich ist das praktisch, denn es spart Archivraum. Aber es ist eben zu kurz gesprungen, wie wir in unserem jüngsten Blogbeitrag bereits dargelegt haben. Erst wenn Dokumente nach dem Scannen mittels OCR für eine Volltextrecherche aufbereitet und die ausgelesenen Informationen zusätzlich in einem DMS strukturiert bereitgestellt werden, ist die Digitalisierung wirklich vollzogen. Und genau dies ist nur in etwas mehr als der Hälfte der Fälle überhaupt geschehen, was der DOI belegt. Nur 28 Prozent praktizieren demnach derzeit die automatische Dokumentenklassifikation und Datenextraktion.
EDI bei kleinen Unternehmen?
Wenn es schon um eingehende Dokumente geht, muss auch die Rede von Lieferantenrechnungen sein, die schließlich zu den häufigsten Dokumentenarten im Unternehmen gehören. Der Bitkom fragte nach dem gebräuchlichsten Format und kam wenig überraschend auf das Standard-PDF (von 60 Prozent der Befragten genutzt). Gleich auf Platz zwei steht mit 44 Prozent dann allerdings schon Electronic Data Interchange (EDI). Große bis sehr große Unternehmen operieren schon seit langem mit EDI-Verkehr, das ist bekannt. Überraschend ist allerdings der mit 44 Prozent ungewöhnlich hohe Anteil kleinerer Unternehmen (20-99 Beschäftigte). Unserer Erfahrung nach wird in dieser Zielgruppe EDI nur sehr selten eingesetzt, da es in der Vergangenheit mit einer recht aufwändigen Einrichtung dafür notwendiger technischer Infrastruktur verbunden ist, während die Kosten dieser Einrichtung beim Versender, die Vorzüge eines digitalen Eingangs hingegen überwiegend beim Empfänger liegen.
Ebenso viele Unternehmen (44 Prozent) aus dieser Kategorie sollen ihren Lieferanten laut Umfrage auch entsprechende EDI-Empfangskanäle bzw. Webschnittstellen zur Verfügung stellen, über welche diese ihre Rechnungen übermitteln können. Auch dieser Wert scheint aus unserer täglichen Perspektive weit überzeichnet. Mag sein, dass das Antwortverhalten hier von einem übermäßigen Wunschdenken geprägt ist. Die Zahlen des DOI sollen hier nicht in Zweifel gezogen werden. Wenn sie zum Nachdenken anregen, weil sich aus ihnen u.U. Widersprüche ergeben, umso besser. Denn wir wollen ja ein möglichst genaues Bild von der Digitalisierung in Deutschland – die leider immer noch zu langsam vorangeht.